Praxis Dr. Bühler - Akademische Lehrpraxis der Universität Ulm

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Multiple Sklerose

Große Hoffnung in der Forschung durch neue Erkenntnisse oder doch nur eine Seifenblase?

von Annika Rehm
1. Einleitung

Multiple Sklerose - Diese Diagnose ist ein geläufiger Begriff, aber vorstellen können wir uns unter dieser Krankheit meist nicht viel. Was steckt hinter dieser Krankheit? Gibt es in der letzten Zeit Fortschritte in der Forschung, oder wird jahrelang ohne Erfolg geforscht? Wenn ja, was sind die neuen Erkenntnisse?
Genau diese Fragen haben mich bewegt, eine Antwort zu finden. In der folgenden Dokumentation werde ich zum einen die Krankheit MS und die Vorgänge, welche sie verursacht, beschreiben und zum anderen über aktuelle Forschungsneuigkeiten berichten, um diese Frage zu beantworten.

2. Definition Multiple Sklerose

Die Multiple Sklerose ist eine entzündlich demyelinisierende Erkrankung, die chronisch verläuft, und bei der es, wie der Name schon sagt, zur Entmarkung bestimmter Nervenfasern im ZNS und zur Zerstörung von Nervenzellen kommt.
Durch Entzündungsherde werden die isolierenden Markscheiden zerstört, was charakteristischerweise zu einer Vielfalt neuroklinischer Ausfälle führt, da die betroffenen Stellen danach oft vielfach vernarben. Daher auch der Begriff "multiple Sklerose", der sich aus den Wörtern "skleros" = hart und "multiplex" = vielfach zusammensetzt. Die MS tritt meist bei Menschen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren auf, wobei vermehrt Frauen betroffen sind. In Deutschland sind zurzeit ca. 120.000 - 140.000 Menschen an der bislang noch nicht heilbaren MS erkrankt. ,

3. Symptome und Diagnose der Multiplen Sklerose

3.1 Symptome
Je nachdem, in welchem Bereich des ZNS der Entzündungsherd liegt, treten entsprechende neurologische Ausfälle auf. Da die Entzündungen und anschließende Vernarbungen in allen Bereichen des ZNS auftreten können, nennt man sie auch oft "Encephalomyelitis disseminata". Encephalos ist das Gehirn, disseminata bedeutet verstreut und die Endung -itis heißt übersetzt Entzündung. Die Symptome der MS sind daher sehr vielfältig und können schleichend oder völlig unerwartet eintreten.

Häufigste Symptome im Anfangsstadium:

  • Sensibilitätsverlust und Gefühlsstörungen: umfassen meist Parästhesien (= nadelndes Hautgefühl) oder Hypästhesie (= Taubheitsgefühl)
  • Muskelschwäche: Die Manifestation schwankt hierbei von abnormer Ermüdbarkeit, Gangstörungen bis feinmotorischen Störungen.
  • Optikusneuritis: verminderte Sehschärfe, Trüb- bzw. Dunkelsehen
Andere Beschwerden wie Diplopie (Doppelbilder), Gangataxie (Bewegungsstörungen), Harnblasenfunktionsstörungen, Hirnleistungsstörungen und Depression können zwar auftreten sind jedoch eher selten.

Häufigste Begleitsymptome der Krankheit:
  • Ataxie durch Spastik und Muskelschwäche: Sie tritt bei 90 Prozent der MS-Patienten auf.
  • Gefühlsstörungen, Unsicherheiten beim Gehen und Stehen
  • abnorme Müdigkeit
  • Sehstörungen und kognitive Störungen: kognitive Störungen äußern sich meist durch Merkfähigkeitsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizite und verlangsamte Informationsverarbeitung
  • Sprechstörungen
Weitere Begleitsymptome: Depression, Schmerzen am Körper, Lhermitte-Zeichen (Kribbeln im Nacken bei vorgebeugtem Kopf) und Lähmungen von Hirnnerven. Manche MS-Erkrankte zeigen nur wenige Symptome, während andere wiederum gleichzeitig an mehreren Symptomen leiden.

3.2 Diagnose

Da die neurologischen Ausfälle sehr vielfältig sind, und die Symptome auch auf andere Krankheiten deuten könnten, ist die Multiple Sklerose nicht einfach zu diagnostizieren.

4. Krankheitsverläufe

Die Manifestation der MS ist sehr unterschiedlich. Es können Verläufe mit sehr langsamer Verschlechterung bis zu rasch fortschreitenden Prozessen auftreten. Je nach Häufigkeit der Schübe (ein Schub ist ein Entzündungsherd, der zu Ausfällen führt) unterscheidet man zwischen:
  • schubhaft-remittierende MS: Von dieser Form sind ungefähr 80 - 85 % der MS-Patienten betroffen. Es kommt meistens zur vollständigen Rückbildung der Beschwerden.
  • sekundär-progrediente MS: Innerhalb von zehn Jahren nach Erkrankungsbeginn entwickelt sich bei circa 50 % der Patienten mit schubhaft-remittierender MS eine sekundär-progrediente MS. Während dieser Phase nimmt die Behinderung stetig zu, da sich die Beschwerden zwischen den Schüben nur unvollständig zurückbilden.
  • primär-progrediente MS: Seltenste Form. Die Beschwerden verschlechtern sich ständig ohne Schubcharakteristik.
  • progredient-schubförmige MS: Hier treten von Anfang an fortschreitend neurologische Behinderungen ein, die später von Schüben begleitet werden.


5. Ursachen der MS

5.1 Autoimmunprozesse


Da das Krankheitsbild der Multiplen Sklerose durch eine Fehlreaktion des Immunsystems verursacht wird, gehört die MS zu den Autoimmunerkrankungen.
T-Zellen, welche normalerweise für die spezifische Immunabwehr eine wichtige Rolle spielen, greifen durch diese Fehlreaktion des Immunsystems eigene Nervenzellen an.
Aus welchem Grund T-Zellen körpereigenes Nervengewebe angreifen und zerstören, ist bisher noch nicht ganz geklärt. Bekannt ist, dass neben genetischen Faktoren, die T-Zellen auch durch eine frühere Infektion mit Erregern, welche eine Antigenstruktur besitzen, die fast identisch mit körpereigenen Strukturen sind, aktiviert werden können. Die aktivierten T-Zellen differenzieren sich nun unter anderem zu antikörperproduzierenden Plasmazellen.
Diese Antikörper machen nicht nur die körperfremden Antigene unwirksam, sondern können auch körpereigene Zellen zerstören. Es kann jedoch erst zu dieser Demyelinisierung kommen, wenn die aktivierten T-Zellen die Blut-Hirn-Schranke durchtreten, da sie erst in der weißen Substanz des Gehirns und Rückenmarks passende körpereigene Oberflächen-Antigene finden.

Doch wie können diese T-Zellen die Blut-Hirn-Schranke überwinden?

Nach neuesten Forschungen wandern die T-Zellen mehrere Tage auf einer streng vorgegebenen Route durch periphere Immunorgane und erwerben auf diesem Weg die Fähigkeit, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Diese Fähigkeit beruht auf dem Molekül CCR6, welches die autoaggressiven T-Zellen auf ihrer Oberfläche besitzen. "Das Molekül CCR6 ist der "Schlüssel", mit dem die T-Zellen über eine spezielle Struktur des Gehirns - den so genannten Plexus choroideus in die Flüssigkeitsräume des Gehirns vordringen können." Diese T-Zellen gelangen nun in die Hirnrinde, wo sie für andere Immunzellen die Blut-Hirn-Schranke öffnen. T-Zellen durchziehen das Nervengewebe sehr schnell, wobei sich einige davon dauerhaft an Ort und Stelle fixieren. Ob die T-Zellen bei ihrer Wanderung Chemokinen folgen, ist noch umstritten. Sicher ist jedoch, dass die wandernden T-Zellen sich durch Hirnsubstanzen bohren und dabei Hirnzellen zerstören.
Die fixierten T-Zellen, welche passende körpereigene Oberflächen-Antigene gefunden haben, schütten nun auch Entzündungsstoffe, so genante Cytokine, aus. Diese stören das fein regulierte ZNS-Millieu, locken Makrophagen an und regen sie zur Zerstörung an.
Die Demyelinisierung wird also nicht nur durch produzierte Antikörper verursacht, welche Zellen zerstören, sondern auch durch T-Zellen, welche durch ihre Wanderung im Gewebe Nervenzellen zerstören oder Cytokine ausschütten und Makrophagen, welche ebenfalls Entzündungsstoffe abgeben.
Laut neuesten Forschungsergebnissen wird der Krankheitsverlauf auch durch stimulierende dendritische Zellen, welche bei einer Erkrankung vermehrt im Gehirn vorhanden sind, verschlechtert. Diese dendritischen Zellen sind Schlüsselzellen, die den fehlgeleiteten Angriff auf das Nervensystem mit beisteuern und ihn unterstützen. Denn diese Schlüsselzellen locken eine noch größere Menge von T-Zellen an und stimulieren sie, noch mehr Cytokine frei zu setzten. Der Körper besitzt umgekehrt auch regulatorische T-Zellen, die vor solchen Attacken schützen sollen. Sie wandern in das betroffene Gebiet um die Entzündung zu begrenzen. Sie bilden an ihrer Oberfläche ein HLA-G Molekül aus, welches eine stark hemmende Funktion auf das Immunsystem besitzt. "HLA-G bildende Zellen sind im Gegensatz zu nicht-HLA-G bildenden Zellen kaum zur Zellteilung fähig und unterdrücken die Zellteilung ihrer HLA-G negativen Partner in deutlicher Weise." Jedoch ist die Anzahl von schädlichen stimulierenden dendritischen Zellen deutlich höher als die im Körper vorhandene Anzahl von entzündungshemmenden regulatorischen Zellen.

5.2 Genetische Faktoren

Obwohl MS durch genetische Faktoren beeinflusst wird, zählt sie nicht zu den Erbkrankheiten. Bekannt ist, dass das Risiko unterschiedlicher ethnischer Gruppen schwankt. Ebenso ist das Risiko, an MS zu erkranken, bei Familienmitgliedern und Verwandten, in denen eine Person an MS erkrankt ist, höher, als bei nicht verwandten Personen. Experten fanden auch heraus, dass die Erkrankung an MS polygen bedingt ist. Eines dieser mitverantwortlichen Gene, das HLA-Gen, spielt dabei eine wichtige Rolle. Diese HLA-Gene regeln normalerweise die Immunfunktion und können in HLA-DRB1 und HLA-DRB5 unterschieden werden. Ersteres ist dabei für die MS-Empfindlichkeit verantwortlich, egal ob HLA-DRB5 vorhanden ist oder nicht. Ist das HLA-DRB5 jedoch nicht vorhanden, steigt das Risiko noch mehr, an MS zu erkranken. Somit kann angenommen werden, dass das HLA-DRB5 Gen vor einer Krankheitsprogression schützt. ,

5.3 Infektionen und Risikofaktoren

Wie oben beschrieben, können ausgeheilte Infektionen T-Zellen aktivieren und zu Entzündungen im ZNS führen. Vor allem Herpes-Viren, Chlamydien und Epstein-Barr-Viren, werden hierfür verantwortlich gemacht.

Weitere Faktoren, welche zum Ausbruch der MS bzw. eines Schubes beitragen können sind:
  • seelische oder körperliche Belastungen
  • einige Aktivimpfungen
  • Desensibilisierungstherapien
  • Medikamente, die das Immunsystem fördern
  • Rauchen


6. Therapie

Neben der Diagnose erweist sich auch die Therapie von MS teilweise als schwer, da neben einer Behandlung eines akuten Schubes und einer Langzeittherapie oft auch eine symptomatische Behandlung benötigt wird. Während die symptomatische Therapie unspezifische Beschwerden, wie z.B. Schmerzen, Depressionen und Spastik lindern soll, zielt die Langzeittherapie auf eine dauerhafte Unterdrückung des Immunsystems. Eingesetzt werden hier vor allem immunsuppressive Medikamente, um das Fortschreiten der Krankheit zu hemmen. Ein akuter Schub wird meist mit hoch dosierten Cortisoninfusionen behandelt, da hierdurch Entzündungsherde rasch wieder abklingen. Ein neueres Medikament, mit dem ein akuter Schub behandelt werden kann, ist der Wirkstoff Natalizumab.
Er verhindert durch seine Struktur, dass T-Zellen sich an die Innenwand von Blutgefäßen im Gehirn andocken und blockiert somit das Einwandern von T-Zellen
in das ZNS. Doch auch weitere aktuelle Fortschritte in der Therapieforschung wecken Hoffnungen.
Ein Forschungsansatz bestand daraus, die dendritischen Zellen im Gehirn so zu verändern, dass sie sich positiv auf den Verlauf der Krankheit auswirken. Sie aktivieren nun nicht mehr Zellen, welche Cytokine ausschütten, sondern T-Zellen, welche entzündungs-unterdrückende Signalmoleküle produzieren. Es werden jedoch noch einige Untersuchungen benötigt, um eine einsatzfähige Therapie daraus zu entwickeln.
Eine weitere Studie befasst sich mit den regulatorischen T-Zellen und versucht, einen therapeutischen Nutzen aus diesen hemmenden Zellen zu erzielen. Denn da diese Zellen bereits Entzündungen entgegenwirken, scheint es nahe liegend, sie als Behandlungsmethode einzusetzen.
Eine bereits an Patienten getestete Studie, welche ein erstaunliches Ergebnis durch Stammzell-Transplantation erzielte, lässt bereits jetzt erkennen, was die Forschung in den nächsten Jahren an Therapien ermöglichen wird. Den Patienten wurden zunächst hämatopoetische Stammzellen entnommen. Anschließend zerstörte man mit einem Cocktail aus Zytostatika und einem monoklonalen Antikörper gegen Lymphozyten das Immunsystem, wobei blutbildende Knochenmarkszellen erhalten blieben. Um danach ein nicht autoreaktives Immunsystem wieder aufzubauen, wurden den Patienten die zuvor entnommenen Stammzellen wieder verabreicht. Bei keinem der 21 Patienten, an denen die Studie getestet wurde, war die Krankheit nach drei Jahren vorangeschritten. Bei 17 Patienten gingen sogar Behinderungen zurück.

7. Schlusswort

Man kann schon bei den Vorgängen, die zur Demyelinisierung führen, deutlich erkennen wie viel neue erstaunliche Erkenntnisse zur genauen Entschlüsselung der Krankheit MS bekannt geworden sind und dass die Forschung keine leere Seifenblase ist. Während man früher nur wusste, dass der Körper selbst eigene Nervenzellen zerstört und die Leitungsfähigkeit der Nerven verschlechtert bzw. völlig verhindert, werden nun Schritt für Schritt die genauen Vorgänge entschlüsselt und Zellen identifiziert, welche zu dieser Entmarkung beitragen. Dabei werden nicht nur Erklärungen für die Vorgänge dieser Erkrankung gegeben, sondern auch Ansätze gewonnen, neue Therapien herzustellen, wie z.B. die Studie, welche versucht dendritische Zellen zu manipulieren. Genau diese neuen Forschungsergebnisse zur Therapie von MS, insbesondere die Stammzell-Transplantation, zeigen, dass die Forschung sogar schon an getesteten Patienten Besserungen hervorbrachte und somit viel für die Zukunft erwarten lässt. Während der Dokumentation habe ich festgestellt, dass es nicht nur ausreicht, eine Studie zu betrachten. Es ist notwendig eine Erkenntnis nach der anderen aneinander zu reihen, um die Krankheit zu verstehen und um sich ein Bild vom kompletten Ablauf zu machen. Dies zeigt, dass es sehr wichtig ist, alle Studienergebnisse, auch fehlgeschlagene, zu veröffentlichen. Denn solch eine vernetzte Forschung ist mit Sicherheit der erfolgreichste Weg, MS eines Tages heilen zu können oder sogar deren Ausbruch zu verhindern.

Literaturverzeichnis

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    [http://www.dmsg.de/multiple-sklerose-news/index.php?kategorie=forschung&anr=1811; am 1.02.09].
  • DMSG: 23.03.07
    [http://www.dmsg.de/multiple-sklerose-news/index.php?kategorie=forschung&cnr=31&anr=1369
    &searchkey=regulatorische%20T-Zellen&wholewords=0 ].
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  • Dr. med. Witte, Felicitas: Multiple Sklerose, S.1
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  • Koppi, Stefan: Harrisons, Innere Medizin 2, 15. Auflage, 2003, S.2673